Review: “Character Limit. How Elon Musk Destroyed Twitter” Conger / Mac (2024)

Conger, Kate / Ryan Mac (2024) Character Limit. How Elon Musk Destroyed Twitter. London: Cornerstone Press.

Von Josef G. Böck für The Human Side of Business GmbH

Das Buch der preisgekrönten New York Times Journalistin Kate Conger und ihres Kollegen Ryan Mac zur Übernahme von Twitter durch Elon Musk ist ein spannendes Stück amerikanischer Wirtschaftsgeschichte mit Folgen für die ganze Welt. Auf ca. 400 Seiten berichten sie, was ihnen etwa 100 Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in mehr als 150 Stunden über eine der größten Firmenübernahmen der amerikanischen Geschichte erzählt haben. Dazu kommt noch all das Wissen, das beide über viele Jahre durch ihre Berichterstattungen über Social Media in den USA gesammelt haben. Conger und Mac sind tief im Thema und belegen ihre Aussagen und Interpretationen in hunderten Fußnoten.

Der Untertitel der englischen Originalausgabe „How Elon Musk Destroyed Twitter“ sagt klar, wie Conger und Mac die Übernahme bewerten: als ein Werk der Zerstörung. Das könnte sich als zu reißerisch herausstellen. Sie zitieren Elon Musk selbst, der für eine Rettung und Neuausrichtung von Twitter etwa fünf Jahre für notwendig hielt und hält, halten aber die Social-Media-Plattform am Ende Ihres Buchs Anfang 2024 für zerstört. Nach Musk‘s Zeitrechnung sind wir im Jahr zwei der Übernahme, also mitten drin. Wenn wir jetzt noch die Zeitenüberschreitungen dazurechnen, die sich Musk für seinen großen Projekte bisher immer gegönnt hat, dann wird ein Urteil darüber, ob er Twitter ruiniert oder zum Erfolg geführt hat, wohl bis 2030 warten müssen, falls X nicht davor pleite geht oder Musk die Lust verliert. Damit haben wir am Ende des Buches nur einen Zwischenstand.

Im ersten Teil des Buches wird weitgehend chronologisch erzählt, wie Jack Dorsey im Jahr 2000 auf die Idee für Twitter kam. 2006 war der Dienst startklar und Dorsey setzte mit „just setting up my twttr“ seinen ersten Tweet ab. Wir beobachten in den Jahren danach die dauerüberforderten Managerinnen und Manager beim Aufbau einer sinnvollen Organisation, beim Suchen nach einem tragfähigen Geschäftsmodell und vor allem beim Managen der Autoren und ihrer Tweets. Dorsey schwebte vor, einen Marktplatz der Meinungen zu errichten, in dem Gedanken in „real-time, up-to-date, from the road“ verbreitet werden können – ein Medium für „stream-of-consciousness“-Inhalte ohne Filter und Zeitversatz. Wer sich von uns in Twitter oder jetzt X bewegt, weiß, wozu das im Guten und im Schlechten geführt hat. Der erste Teil des Buches bietet deshalb einen tiefen und absolut glaubwürdigen Blick auf die Menschen bei Twitter, ihre Visionen, ihrer Haltungen zu „free speech“, ihre Probleme und die Begrenztheit ihrer Möglichkeiten, sie zu lösen. Im Jahr 2013 ging Twitter zu einem Wert von 18 Milliarden an die Börse.

In einem zweiten Erzählstrang folgen wir dem Unternehmer Elon Musk ab ungefähr 2003, wie er seine Unternehmen nebeneinander managed und wie er Twitter allmählich zu seinem zentralen Kommunikationsmedium macht. Dieser Kanal ist sicher einer der Gründe dafür, dass Musk in seinen Unternehmen für klassisches Marketing kein Geld ausgibt und er sich als der zentrale Sprecher seiner Unternehmen positionieren kann. Conger und Mac gehen so weit, 2017 als das Jahr zu markieren, ab dem bei Musk eine Twitter-Sucht diagnostiziert werden muss. Er kann ab da kein Stöckchen mehr in Twitter liegen lassen, das ihm irgendjemand hinwirft.

Mit der Pandemie verändert sich Musks politische Einstellung weg von einer Unterstützung der amerikanischen Demokraten, weil er die Maßnahmen der Politiker als wirtschaftsschädlich und undemokratisch empfindet.  Die Schließung seiner Unternehmen und Einengung der Entscheidungsfreiheit der Menschen empfindet er als unerträglich. Gleichzeitig wendet er sich gegen  die  Politik  der Demokraten, Diversität zu fördern oder die Bildung von Gewerkschaften zu unterstützen. 2021 fordert er Twitter auf, nachzuforschen, wo der „woke_mind_virus“ entstanden ist und wie er sich ausgebreitet hat. Twitter hält er für selbst- oder öffentlich zensiert und für nicht vertrauenswürdig. Er glaubt, dass er da Abhilfe schaffen könnte.  Er fängt an, darüber nachzudenken, Twitter zu übernehmen.

Musk schwebte ein Twitter vor, das als effiziente und gut geölte Maschine 2025 3,2 Milliarden Gewinn machen sollte und bis 2028 sogar 9,4 Milliarden.  Musk   stellt sich auch vor, Twitter zu einer All-Purpose-App nach dem Vorbild von WeChat weiterzuentwickeln und damit das Geschäftsmodell weg von der Werbung hin zu bezahlten Diensten zu bringen.

Mit dieser Idee warb Musk bei Freunden und Bekannten um finanzielle Unterstützung, um die 44 Milliarden Kaufpreis aufzubringen und nicht alles aus eigener Tasche zahlen zu müssen. Unter völligem Verzicht auf Due Diligence, die ihm Einsicht in die wirklichen Abläufe und Ergebnisse von Twitter ermöglicht hätte,  bezahlte Musk am 27.10.2022 über eine seiner Holdingfirmen den Kaufpreis und war damit Eigentümer von Twitter.

Mit diesem Tag begann Musk eine beispiellose Entlassungswelle bei Twitter, um die Effizienz zu erhöhen. Er machte sich selbst zum Chefdesigner und Produktmanager der Plattform. Er holte ihm ergebene und vertraute Manager aus seinen anderen Unternehmen wie SpaceX und Tesla, weil er die bei Twitter beschäftigten Verantwortlichen für nicht vertrauenswürdig hielt.  Diese externen Manager machten die verbliebenen Twitter-Verantwortlichen mit der Arbeitsweise von Musk vertraut: keine Widerworte, niemals so tun, als ob man eine Antwort hätte, wenn man keine hat und jeden Vorschlag in zwei oder drei Optionen verdichten, um unnötige Diskussionen zu vermeiden. Je mehr das  verbliebene alte Management mit Musk  zusammenarbeitet, desto mehr kam es zum Eindruck, dass Musk die Besonderheit des Managements von Social Media nicht versteht und dass er deshalb nicht nur darein nach Bauchgefühl entscheidet. Das trieb viele der verbliebenen Manager in die Kündigung.

Im Ergebnis drückte Musk bis Mitte 2024 die Kosten von Twitter um drei Milliarden Dollar und das Werbeaufkommen sank um 50 %.  Der Wert von Twitter sank von 44 Milliarden zum Zeitpunkt des Kaufs auf geschätzte 11,8 Milliarden. Auf die Frage eines Journalisten, wie man denn schnell ein kleines Vermögen verdienen könne, antwortete Musk grinsend, dass man beispielsweise „bei einem großen Vermögen anfangen könne“. Es kann aber sein, dass durch die Wahl Trumps und durch Musk’s Rolle in der amerikanischen Politik das Projekt jetzt nochmal eine entscheidende Wendung im Sinne von Elon Musk nimmt.  Conger und Mac werden ihm sicher auf den Fersen bleiben und Material für eine Fortsetzung sammeln.

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