Rezension: “The Contrarian – Peter Thiel and Silicon Valley’s Pursuit of Power” Chafkin (2021)

Chafkin, Max (2021) The Contrarian. Peter Thiel and Silicon Valley’s Pursuit of Power. New York: Penguin.

Von Josef G. Böck für The Human Side of Business GmbH

Ob man das Buch von Max Chafkin in den Passagen, in denen Wegbegleiter von Peter Thiel über ihn Auskunft geben, für seriös hält, hängt vom guten Willen der Leserin und des Lesers ab. Aus Angst vor negativen Konsequenzen hätten sich, so der Autor, viele von ihm interviewte Personen geweigert, als Quellen mit Namen genannt zu werden. Die meisten von ihnen wollen weiter mit ihm Geschäfte machen oder unbehelligt ihre Leben außerhalb des „Thielverse“ führen.

Max Chafkin ist Journalist und seit etwa 15 Jahren mit Themen rund um Silicon Valley befasst. Im Hauptberuf ist er Redakteur und Reporter bei Bloomberg Businessweek. Das spricht für gutes Handwerk und glaubwürdigen Zugang zu den im Buch zitierten Quellen – offengelegte wie anonymisierte.

Peter Thiel ist als Unternehmer und Investor eine fast schon mythische Gestalt. Der in Deutschland geborene Milliardär hat Unternehmen wie PayPal oder Palantir mitgegründet, sich für republikanische Politiker – der auffälligste davon ist Donald Trump – eingesetzt und fällt in der Tagespresse immer wieder mit bizarr anmutenden Ideen auf wie Forschungsunterstützung für Parabiose (beispielweise zur Verlängerung von menschlichem Leben) oder Seasteading (Schaffung von Stätten auf dem Meer außerhalb des Einflusses von nationalen Regierungen). Viele seiner öffentlichen Äußerungen lassen ihn als reaktionären Libertären erscheinen, dem es nur darum geht, ungehindert reich zu werden und mit seinem Geld die politischen Verhältnisse so zu gestalten, wie sie seiner Überzeugung nach sein sollten.

Der Autor hat sein Material in 20 gut lesbare Kapitel unterteilt und endet mit einem Epilog, der die wesentlichen Überzeugungen von Thiel nochmal auf den Punkt zu bringen versucht. Die Reihenfolge der Kapitel ist im Wesentlichen chronologisch, so dass man Thiel von seiner Kindheit über sein Studium in Standford bis hin zu seiner Zeit als Trump-Unterstützer folgen kann. Da der Autor den 1967 geborenen Thiel in die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen vor allem in den USA einbettet, entsteht für die Leserinnen und Leser ein Bild davon, wie sich Amerika aus der Sicht eines gebildeten, risikofreudigen und ideenreichen Unternehmers und Investors zwischen Mitte der 90er und der Gegenwart anfühlt.

Peter Thiel ist ein erfolgreicher Unternehmer. Er hat unter anderem den Online-Bezahldienst PayPal und das Massendaten-Analyse-Unternehmen Palantier mitbegründet und teilweise geführt. Als Leserin und Leser erleben wir ihn bei der Bewältigung alltäglicher Probleme, im Zusammenspiel mit seinen Kollegen und in seinem Bemühen, seine Unternehmen am Markt zu etablieren und damit Werte zu schaffen. Wie geschickt er sein Netzwerk ständig erweitert, Abhängigkeiten von sich schafft, Menschen großzügig fördert, sich aber auch aus Unternehmungen löst, die seinen Erfolgsansprüchen nicht genügen, ist ein Lehrstück für Unternehmertum in den USA und Beleg dafür, was Sondertalente wie Peter Thiel auf die Beine stellen. Es wird auch deutlich, dass Thiel seine Erfolge einer Kombination aus Cleverness und Überzeugungen verdankt, die nicht einfach kopiert werden können. Geschweige denn, dass viele unternehmerisch orientierte Menschen sie nicht kopieren wollen würden.

Weltweit bekannt geworden ist Peter Thiel durch seine Investments – als Privatmann und über seine diversen Investmentfirmen. Er war einer der ersten Investoren bei Facebook und auch bei Tesla. Diese Investments haben ihn zum Milliardär gemacht. Gerade der Blick auf sein Investment-Verhalten lässt uns dem Denken von Thiel näherkommen. Er positioniert seine Investmentfirmen im Stil von George Soros – eine Mischung aus „start-up, think tank und hedge fund“ (S. 100). Er sagt von sich, dass er seine Kollegen beobachte und sich dann entschließe, mal das Gegenteil von dem zu versuchen, was diese tun und sagen. Deshalb der Titel des Buches „The Contrarian“. Erstaunlich oft, so sagt er, habe er damit Erfolg (S. XV).

Fast so bekannt wie als Investor wurde Peter Thiel durch seine Förderung von republikanischen Politikern in den USA – von Kandidaten für den Senat oder Kongress bis hin zu Bewerbern um die Präsidentschaft. Nach der Wahl von Donald Trump wurde er von Trump und Bannon als Vorsitzender eines Gremiums berufen, das etwa 150 Stellen in der Regierung im Sinne libertärer oder establishment-zerstörender Überzeugungen besetzen sollte. Auch wenn er letztendlich nur zwölf seiner Kandidaten durchbrachte, zeugt dieser Auftrag von seiner Macht in konservativen Kreisen in den USA. Macht ist für Peter Thiel ein wichtiger Antrieb.

Gleichzeitig belegt die Nähe einiger amerikanischer Superreicher zur Politik die Gefahr, die von so einer Struktur ausgeht. Thiel hilft, die Politiker an die Stellen zu bekommen, an denen sie seine Überzeugungen in praktische Politik umsetzen. Ein Aspekt ist die Abwehr von steuerpolitischen Veränderungen, die seine Unternehmen und seine Besitzstände gefährden könnten. Thiel offenbart sich dabei immer wieder als Nicht-Demokrat, wenn er die Mitbestimmung von zu vielen Menschen für nicht effizient hält (S. 182).

Weniger öffentlich bekannt ist über die Privatperson Peter Thiel. Auch hier trägt Max Chafkin eine Menge Puzzlesteine zusammen, ohne sie zu einem großen Bild formen zu können. Was Thiel wirklich treibt und welche Leitplanken er für sich dabei sieht, wird nicht wirklich deutlich. Thiel selbst äußert sich selten und nicht immer konsistent. Es gab zwischen Chafkin und Thiel nur zwei längere Gespräche. Manches lässt sich aus seinen Kontakten zu Menschen ablesen, die Thiel immer wieder erwähnt. Allan Bloom, Patri Friedman, William Rees-Mogg, James Dale Davidson, Dinesh D’Souza und René Gerard tauchen öfter im Buch auf. Vom französischstämmigen, in Stanford lehrenden Philosophen Gerard hat Thiel die Überzeugung übernommen, dass ein wesentlicher Antrieb des Menschen die gegenseitige Imitation ist – Menschen wollen das sein und haben, was sie bei anderen sehen (S. 20). Dieser Antrieb führt für Girard zu Neid und schließlich zur Gewalt. Thiel erklärt unter anderem damit, warum Menschen ihm und anderen außergewöhnlichen Regelbrechern gegenüber so oft ablehnend seien.

Ein anderer Aspekt seiner Haltungen wird deutlich, wenn er sich im Silicon Valley nicht wohlfühlt, weil die Prägung der Menschen dort eher eine liberale als eine republikanische oder gar reaktionäre ist. Political Correctness hält er für einen entscheidenden Wettbewerbsnachteil (S. 282). Als „contrarian“ fühlt er sich nicht akzeptiert. Das liegt sicher auch daran, dass Peter Thiel davon überzeugt ist, dass die Hightech-Industrie seit den 70er Jahren keine wirklichen Innovationen mehr zustande gebracht hat. Er betont immer wieder, wie enttäuscht er davon ist. Das hören seine Kollegen im Silicon Valley natürlich nicht gerne.

Der deutsche Titel des Buches enthält das Wort „Pate“ und hebt damit die vielen Stellen, in denen der Autor das Netzwerk von Peter Thiel als „PayPal Mafia“ bezeichnet, an eine prominente Stelle. Dem Autor ist auch nach jahrelanger Beschäftigung Peter Thiel suspekt, das merkt man vor allem an dieser Einordnung. Chafkin erkennt die Leistungen von Peter Thiel an, fremdelt aber ganz offensichtlich. Neutralere Analytiker wären wahrscheinlich mit der Einordnung von Thiel als genialen Netzwerker, Strippenzieher und nervenstarkem Zocker zufrieden gewesen.

Weil sich Max Chafkin an Peter Thiel und seinem Netzwerk reibt, entstehen trotz vielleicht an manchen Stellen unfairer Zuschreibungen viele Einblicke ins aktuelle konservative Denken in den USA und in Peter Thiels Rolle darin. Das ist spannend zu lesen und führt für Europäer immer wieder zu Kopfschütteln. Als leicht zu kopierendes Vorbild kommt Peter Thiel nicht daher.

Einiges von dem, was Thiel sagt und tut, kann aber Unternehmer sehr wohl zum Nachdenken bringen. Seine Suche nach langfristigen Trends und Entwicklungen, in die er investiert, unterscheidet sich diametral von den Investoren, die kurzfristige Engagements und einen möglichst großen Hebel suchen. Um solche Trends aufzuspüren, investieren er persönlich und alle seine Teams eine Menge Energie.

Ein zweiter Aspekt ist der gezielte Aufbau eines eigenen Ökosystems, das sich nicht auf die Wirtschaft beschränkt, sondern in Think Tanks, Universitäten und in die Politik hinein reicht. Thiel muss für mittelständische Unternehmer ja nicht der Maßstab sein. Die Grundidee dahinter kann aber sehr wohl auch Mittelständler leiten.

Ein dritter Aspekt ist sein Aufruf zum Mut, selber zu denken und den aus diesem Denken entstehenden Überzeugungen zu folgen. Wer dem Mainstream folgt, wird als Unternehmer auf eine Menge Wettbewerber stoßen, die ebenfalls glauben, sich dort positionieren zu müssen. Wer eigene, originelle Ideen und Überzeugungen hat, wird sich anders verhalten als der Mainstream und damit neue Räume besetzen. Zwischen Mainstream und Contratrian gibt es eine Menge Platz.

Als Person der Zeitgeschichte ist Peter Thiel in öffentlich zugänglichen Podcasts und Youtube Videos erlebbar. Die Biographie von Max Chafkin reizt beim Lesen dazu, sich den Menschen Thiel im O-Ton anzusehen. Wir begegnen dabei einem Menschen, der oft keine geraden Sätze formulieren kann und sich in seinen eigenen Gedanken verheddert. Das hat ihn offensichtlich nicht am Erfolg gehindert. Wer sich selbst mit Peter Thiel beschäftigen möchte, dem rate ich, sich unter anderen anzusehen: Interview zu René Girard, Commencement Speech at Hamilton College (2016) und den Vortrag Going from Zero to One.

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