Rezension: “Das Scrum-Prinzip, Gloger/Margetich (2018)

Gloger, Boris / Margetich, Jürgen (2018) Das Scrum-Prinzip. Agile Organisationen aufbauen und gestalten. Schäffer-Poeschel

Von Josef G. Böck für The Human Side of Business GmbH

Das Konzept des agilen Arbeitens kommt zwar ursprünglich aus der Software-Entwicklung, hat sich inzwischen aber bei einigen Beratern zu einer Art Innovationsstrategie und Organisationstheorie ausgeweitet. Wer heute als Unternehmer nicht wenigstens die Grundbegriffe kennt oder ein Pilotprojekt ins Auge gefasst hat, läuft Gefahr, von Kollegen, Kunden und Mitarbeitern als „nicht mehr auf der Höhe der Zeit“ charakterisiert zu werden.

Damit Unternehmer*innen und Manager*innen dieser Zuschreibung entgehen, wenn die Sprache auf modern aufgestellte Unternehmen kommt, haben Boris Gloger und Jürgen Margetich ihr Buch geschrieben. Sie wollen zeigen, wie Verantwortliche die „Transition zu einer agilen Organisation bewerkstelligen können, wie sie das Change-Team aufsetzen und die Transition managen“ (S. XIII). Beide Autoren sind erfahrene Unternehmer und Berater, deren Hauptthema seit vielen Jahren ist, Agilität in Unternehmen zu bringen. Somit gehört das Buch zur Kategorie „Beratende Praktiker fassen für Kunden, Mitarbeiter und Umfeld ihr Wissen zusammen“. Dabei ist ein für Unternehmer und Manager, die sich einen seriösen ersten Eindruck zu agilen Organisationen machen wollen, ein gut lesbares, informatives und sinnvoll strukturiertes Werk herausgekommen. Dem Qualitätsanspruch des Verlages entsprechend verfügt das Werk über ein Literaturverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis. Beides findet man heute leider nicht mehr in jedem Buch.

Für Gloger und Margetich scheint jede Organisation eine agile Transformation zu brauchen. Wenn ich mir aber die Themenauswahl ansehe, dann ist das Buch geschrieben für Unternehmen , die
… bei der Produktentwicklung und bei Individualprojekten – nicht nur in der Softwareentwicklung – Kunden nicht ausreichend mit ins Boot holen und Gefahr laufen, an den Kundenwünschen vorbei zu entwickeln
oder
… lange und komplizierte Projekte machen und einen Weg suchen, die Risiken beispielsweise durch Aufbrechen großer Aufgabenblöcke in kleine Einheiten zu verringern
oder
… so lange von der Produktidee oder vom Auftrag bis zum fertigen Produkt brauchen, dass sich Markt und/oder Kundenanforderungen deutlich ändern können
oder
… die ohnehin ein Update auf ihre Organisationsaufstellung brauchen, weil Management- und Unternehmensprozesse nicht mehr zu Kundenanforderungen oder Mitarbeitererwartungen passen.

Wer sich als Unternehmer*in oder Manager*in in einem oder mehreren dieser Szenarien wiedererkennt, der oder dem erklären die Autoren anhand von „ein paar Prinzipien“ zur agilen Transformation (S. XIV) die wichtigsten Ziele, Begriffe, Rollen, Voraussetzungen und Umsetzungsschritte bei der Agilisierung ihrer Unternehmen.

Die Autoren haben sich die Arbeit geteilt. Boris Gloger hat den ersten Teil verfasst, den er „Auf der Suche nach der agilen Organisation“ nennt. Er beginnt mit einem ausführlichen Zitat aus dem agilen Manifest von 2001, der Gründungsurkunde agilen Projektmanagements. Er erläutert und interpretiert jeden einzelnen Punkt aus seiner Erfahrung heraus. Im Mittelpunkt stehen dabei die Thesen, die das ganze Buch durchziehen: Traditionelle Unternehmen hätten die Kunden aus dem Auge verloren, den Mitarbeiter*innen sei die Freude an der Arbeit abhanden gekommen, unter anderem weil durch die Arbeitsteiligkeit der persönliche Kontakt in und zwischen den Teams abgenommen hätten und modernes Management müsse die Brücke zwischen dem Individuum und der Organisation bauen. Dies gelänge unter anderem dadurch, dass es der Komplexität der Projekte und Kunden kleine, bewegliche Teams zuordne, die ihre Arbeit unter weitgehender Selbstbestimmung in überschaubare Einheiten aufteilen. Nahe an Glogers Idealbild eines Unternehmens sind Professional Service Firmen, in denen Manager*innen Vorbild für ihre Mitarbeiter*innen sind und ihr Praxiswissen auf den Laufenden halten, indem sie selbst einen Teil ihrer Zeit in Kundenprojekten arbeiten und ihre Arbeit in Rechnung stellen (producing managers). Ganz so, wie die beiden Autoren das in ihrem Unternehmen gewohnt sind.

Im zweiten Teil erläutert Jürgen Margetich den Werkzeugkasten agilen Arbeitens anhand von Scrum. Die Bedeutungen von Sprints, Daily Scrums, Reviews, Retrospektiven, ScrumMaster, Product Owner, Entwicklungsteam und anderer zentraler Bestandteile der agilen Arbeitsweise werden verständlich und praxisnah erläutert. Spannend sind seine Ausführungen, wie agile Methoden nicht nur in der Herstellung von Kundenprodukten zum Einsatz kommen können, sondern auch beispielsweise zur Strategieentwicklung in Organisationen. Wer als Unternehmer*in und Manager*in diesen Teil nicht nur liest sondern „durcharbeitet“, indem sie oder er nach den vielen Anklängen agiler Arbeitswesen in traditionellen Organisationskonzepten und -rollen sucht, wird dabei all das lernen, was sie im Kollegen- und Managerkreis zur fachkundigen Diskussion über die Attraktivität und Gefahren agiler Arbeitsweisen brauchen.

Im dritten Teil behandelt Boris Gloger „Die Umsetzung“ anhand von wesentlichen Prinzipien und nicht als Schritt-für-Schritt-Anleitung. Er geht die acht Schritte der Organisationsveränderung durch, die eine agile Transformation erfolgreich machen. Ausführliche Kapitel widmet er dabei dem Umgang mit Widerständen und den Techniken, wie die Projektleiter*innen und Manager*innen Veränderungen in ihren Organisationen anführen und moderieren können. Wer als Unternehmer*in und Manager*in bisher schon mit Interesse an modernen Managementmethoden unterwegs war und sich entsprechend Anregungen von außen geholt hat, wird über seine Arbeit mit seinen Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen nicht sehr viel Neues erfahren. Veränderungen zu initiieren, zu organisieren und zu begleiten ist Manageralltag. Moderne Menschenführung ebenfalls. Wer das bisher nicht konnte, der ist mit ihrem oder seinem Unternehmen oder Verantwortungsbereich schon untergegangen. Wenn nicht, dann gibt es für Turnarounds andere und schneller wirkende Methoden als die Umstellung auf agiles Arbeiten. Vielleicht erkennen viele Verantwortliche bei der Lektüre dieses Abschnittes, dass sie ohnehin schon agil unterwegs sind und es einfach nicht so genannt haben. Egal, wo wir uns als Unternehmer*in oder Manager*in handwerklich befinden – es ist durchaus hilfreich, sich über die von Boris Gloger vorgetragenen Thesen zum Management von agilen Unternehmen Gedanken zu machen.

Zwei Aspekte hätte ich als Unternehmer gerne behandelt gesehen. Der eine betrifft die Differenzierung der Unternehmen nach ihrer Affinität zum agilen Gedankengut. Haben junge Unternehmen andere Voraussetzungen als etablierte oder gar alte? Spielt die Größe von Unternehmen eine Rolle? Die Branche? Die Art der Produkte und Dienstleistungen? Das Kundensegment? Sollten wir Produkte, Prozesse und Organisationsdesign trennen, wenn wir das Agilitätspotential einschätzen? Gloger/Margetich scheren die Unternehmen nach meinem Geschmack zu sehr über einen Kamm.

Der zweite Aspekt betrifft die Diskussion, ob und für wen sich die agile Transformation lohnt. Die Berater haben kein Problem damit, die qualitativen Veränderungen in Unternehmen ins helle Licht zu rücken, bei der Frage nach messbaren Auswirkungen auf Produktivität und damit auf den EBIT eines Unternehmens halten sich Gloger/Margetich aber vornehm zurück. Zwanzig Jahre nach dem „Agilen Manifest“ müssten schon zitierfähige wissenschaftliche Untersuchungen zu den unternehmerischen Kennzahlen vor und nach der agilen Transformation von Unternehmen vorliegen. Oder nimmt die Wissenschaft das Thema nicht ernst genug?

Das Buch von Boris Gloger und Jürgen Margetich ist für Unternehmer*innen, die über eine Agilisierung ihrer Unternehmen oder gar schon über ein Pilotprojekt nachdenken, ein hilfreiches und unaufgeregtes Buch. Vielen Gedanken der Autoren können das Nachdenken „traditionell ausgebildeter“ Unternehmer*innen und Manager*innen über ihre Unternehmen beflügeln.

Eine herunterladbare Version der Rezension von Gloger/Margetich finden Sie hier.