Rezension: “Weil Führung sich ändern muss”, Ayberk / Kratzer / Linke (2016)

Ayberk / Kratzer / Linke (2016) Weil Führung sich ändern muss. Aufgaben und Selbstverständnis in der digitalisierten Welt. Springer, Wiesbaden

Von Josef G. Boeck

Meine Erwartungshaltung an ein Buch mit dem Titel “Weil Führung sich ändern muss. Aufgaben und Selbstverständnis in der digitalen Welt” ist, dass ich erklärt bekomme, warum die fortschreitende Digitalisierung Führungskräfte zwingt, ihr Führungsverhalten zu verändern.
Das Buch erfüllt diese Erwartungshaltung nur bedingt, weil der Großteil der aufgezeigten “Warums” sich auf die veränderten Werte und Erwartungen heutiger junger Kollegen bezieht, die größtenteils aber nicht durch Digitalisierung und deren Folgen auf Führungsansätze zu erklären sind. In sofern ist das Werk (nur) ein Kompendium der aktuellen Trends in der Führung von Unternehmen, deren wichtigster gemäß der These der Autoren und Herausgeber eine sich ständig erweiternde Selbstorganisation der Mitarbeiter darstellt.
Die Autoren haben 30 Führungskräfte und Führungsdenker befragt und zitieren aus den Interviews oft ausführlich und leider auch abstandslos. Herausgekommen ist ein durchaus spannender Blick in eine Vielzahl von Unternehmen anhand von deren Chefbüros, Personalabteilungen, Besprechungsräumen und Kantinen als Kristallisationspunkte für die Veränderungen, die sich in diesen Unternehmen gerade vollziehen. Digitalisierung ist zwar in einigen der Interviews durchaus ein Thema, im Mittelpunkt einer Begründung, warum sich Führung ändern muss, steht sie aber nicht. Die von den Autoren gewählten Stichworte “Entscheiden”, “Personal einstellen”, “Personal bewerten”, “Strategie entwickeln”, “Lernen”, “Transparenz und Datensicherheit garantieren”, “Kommunizieren”, “Gesundheit schützen”, “Verantwortung tragen”, “Sinn (purpose) stiften” und “Gemeinschaft stärken” dienen dazu, die aktuellen Trends in der Führungspraxis zu verdeutlichen. Es ergeben sich dabei keine dramatisch neuen Einsichten, je nach Leser und aktuellem Mindset aber immer wieder Anregungen für die eigene Praxis.
Durch die Methodik, Führungskräfte und Theoretiker zu befragen, gerät das Buch mehr zu einer Selbstreflektion wacher und kluger Manager über die Notwendigkeit, aufgrund ihrer eigenen Erfahrung ihre Interpretation von Führung weiterzuentwickeln als dass wir als Leser erfahren würden, wie die neue Generation von Mitarbeitern diese Änderungen konkret einfordert. Das “Warum” von Seiten der Geführten kommt dabei genauso zu kurz wie das konkrete “Warum” aus der Perspektive der Digitalisierung. Das belegt auch der Blick auf die Einführung von Julian Nida-Rümelin, in der das Wort Digitalisierung kein einziges Mal vorkommt.
In der aktuellen Diskussion, ob es in Zeiten fortschreitender Digitalisierung und sich offensichtlich vollziehenden Wertewandels durch die Generation Y überhaupt noch Führung in Unternehmen braucht, bekennen sich die Autoren ganz klar zur Beibehaltung des Leadershipkonzepts für Organisationen, zeigen aber auf, wie sich Führung wandeln muss, wenn sie weiter ihre Aufgabe erfolgreich erfüllen will, Unternehmen in ihre Zukunft zu führen.
Die Veränderung der Unternehmenskultur hin zu mehr Selbstorganisation sehen die Autoren als langjährige Reise, die mit einer Einführung „unter dem Radar“ der Organisation beginnen kann und lange aus einem „sowohl als auch“ bestehen darf. Tempo und Inhalt der Veränderungen hängen vom individuellen Profil des Unternehmens ab.
Die Verortung der Autoren im Hernstein Institut für Management und Leadership wird deutlich, wenn sie am Ende ihres Buches fünf Thesen zur Zukunft der Führungskräfteentwicklung formulieren, die sich nicht als Quintessenz aus den Texten ergeben, sondern an Führungskräfteentwickler gerichtet sind. Sie meinen, Führung würde auch in Zukunft nicht obsolet, Führungskräfteentwicklungsaufwand würde durch die Entwicklung zur Selbstorganisation eher steigen als sinken und die Ausbildung würde immer individueller werden müssen. Führungskräftetrainer würden ihren Status und Nimbus verlieren und müssten sich selber jeweils der von ihnen propagierten Managementphilosophie unterwerfen. Spätestens jetzt wird klar, dass die Autoren für ein Klientel schreiben, für das sie sich als solche Führungskräfteentwickler anbieten.
Aus der Sicht des unternehmerisch engagierten Lesers gewährt die Methodik der Interviews Einblick in das aktuelle Führungsdenken von subjektiv ausgewählten Unternehmerkollegen und Managern, deren Gedanken und Schlussfolgerungen aus dem aktuellen Wertewandel bei Mitarbeiter und Bewerbern sicher auch fürs eigene Unternehmen inspirierend sein können.