Rezension: “Digitale Führung”, Ciesielski / Schulz (2016)

Ciesielski / Schutz (2016) Digitale Führung. Wie die neuen Technologien unsere Zusammenarbeit wertvoller machen. Springer Gabler, Wiesbaden
oder
Sind geschichtenerzählende Jazz-Musiker die besseren Führungskräfte?

Von Josef G. Boeck

Mit der Wahl des Titels “Digitale Führung. Wie die neuen Technologien unsere Zusammenarbeit wertvoller machen“ wecken Martin A. Ciesielski und Thomas Schutz die Neugier darauf, wie neue digitale Hilfsmittel beim Erfüllen von Führungsaufgaben helfen. Die Lektüre des Buches zeigt: Die Erwartung wird zwar in Ansätzen bedient, das von den Autoren beackerte Feld hat aber in weiten Teilen mit Digitalisierung nur indirekt zu tun, sondern versucht, das gesamte Spektrum moderner Führung zu beleuchten.
Es wird während der Lektüre nicht ganz klar, wen die Autoren als LeserInnen im Kopf hatten, als sie sich an die Arbeit an diesem Projekt machten: Etablierte Führungskräfte, denen sie die Augen für neue Technologien öffnen? Personalmanager, denen sie die Welt der jungen Mitarbeiter erklären? Verantwortliche und Entscheider in Unternehmen, die ihre Organisationen mit zeitgemäßen Methoden und Techniken in Bewegung setzen wollen? Das Buch enthält für all diese Gruppen etwas und macht genau deshalb die Lektüre anstrengend und im Ganzen verwirrend.
Der Kernthese, dass Führungskräfte sich heute zusätzlich zu ihrer Führungs-, Fach- Medien und interkulturellen Kompetenz auch digitale Kompetenzen aneignen müssen, leuchtet ein und wird sinnvoll belegt. Der fast vollständige Verzicht der Autoren darauf, diese digitale Kompetenz an beispielhaften Techniken, Produkten und Konzepten der digitalen Zusammenarbeit zu verdeutlichen, konterkariert den Untertitel des Buches.
Dagegen nehmen fünf Ideen oder Techniken, deren Zusammenhang mit Führung in einer digitalisierten Welt sich nicht sofort aufdrängt, breiten Raum ein. Da ist zuerst die Empfehlung an Führungskräfte, sich mehr mit Formen des Spiels im Unternehmen zu beschäftigen, weil man erstens die Mitarbeiter damit leichter ans Ausprobieren von neuen Dingen bringt und zweitens auch Scheitern für die Mitarbeiter leichter verkraftbar wird – weil das ja zum Spielen dazugehört. Die zweite Idee stellt den Wert der Improvisation als Lösung für die Komplexität unserer Welt dar, in der wir nicht wie früher alle Lösungen vorausdenken können. Konkret ließe sich dieser Ansatz im Unternehmen durch Improtheater befördern. Die dritte Anregung setzt die Erkenntnis der Autoren um, dass in der heutigen Organisationswelt immer wieder andere Gruppen von Akteuren Führungsrollen übernehmen, je nachdem, welche Aufgabe zu lösen ist, und dass dafür die Improvisations- und Führungskunst eines Jazz-Ensembles inspirieren kann. Die vierte Technik betrifft Crossmedia Storytelling, worunter die Autoren das erfinden und kommunizieren von sinnstiftenden Geschichten rund um die Organisation über Blogs, Microblogs, soziale Plattformen, Videos und Chats verstehen. Ob und wie Social Prototyping in diesen Kontext passt, hat sich mir aus der Darstellung des damit verbundenen Führungsprinzips nur teilweise erschlossen. Im engeren Sinne hat keine der fünf Anregungen direkt digitaler Führung zu tun.
Es wäre spannend gewesen, wenn wir als LeserInnen mehr über die eigenen Erfahrungen der Autoren mit digitalen Ansätzen erfahren hätten. Die Autoren starten stattdessen ihre Ausführungen allzu oft mit Thesen und Zitaten von Experten zum Thema moderner Führung und nicht mit eigenen Denkansätzen. Damit wird der Weg des Lesers gepflastert mit einer Unzahl von kurz angerissenen Konzepten, die weder eingeordnet noch hinterfragt werden. Beispielsweise erfahren wir über die VUCA (Volatilty, Uncertainty, Complexity, Ambiguity)-Welt, Holocracy, HROS (High Reliability Organizations), Millenials oder Kompetenzmodelle nicht wirklich Neues oder sehen sie wenigstens aus dem Blickwinkel eines Digitalisierungsfolgenabschätzers. Besonders augenfällig wird die verwirrende Präsentation von Themen beispielsweise in der Einführung, in der ein bebilderter Überblick über die Entwicklung von Computern gegeben wird, deren Auswahl und Aussagekraft mehr der freien Verfügbarkeit von Bildmaterial geschuldet zu sein scheint als der Verdeutlichung einer Argumentationskette. Die steile These, „unsere digitalen und analogen Geräte, Technologien und Werkzeuge (seien) weniger dazu da, Probleme zu lösen, als vielmehr darauf eingehen zu können, was Menschen tun, wollen und hoffen, über sich aussagen zu können (S 23), kommt damit auf jeden Fall überraschend. Im Kapitel „Hybride Arbeitskulturen“ wird man unter Berufung auf Experten in einem „Exkurs“ vor Verallgemeinerungen über die Generationen X, Y und Z gewarnt – das hätten viele der angesprochenen Leser vielleicht auch alleine gespürt – und ob die als Hoffnungsschimmer im multioptionalen Handeln unterstellte menschliche Selbstorganisationsfähigkeit Komplexität handhabbarer macht, darf zumindest in dieser Absolutheit bezweifelt werden (S 51).
Am Ende des Buches kennt man viele wichtige Aspekte moderner Führung und die Namen und Befunde vieler Theoretiker dazu. Wer das als Ausgangspunkt für die Vertiefung neugierig machender Ansätze und das eigene Hinterfragen von einigen gewagten Thesen des Buches nimmt, hat mit der Arbeit von Martin A. Ciesielski und Thomas Schutz einen Anreiz.