Rezension: “People Analytics in der Praxis”, Reindl / Krügl (2017)
Von Heike Anna Koch
Dieses Fachbuch (Haufe Verlag 2017) richtet sich an Unternehmer und Jeden, der sich strategisch mit Personalfragen befasst oder sich befassen wird – in den derzeitigen Change-Prozessen keine unwesentliche zentrale Aufgabe. Beide Autorinnen haben ihren Wohnsitz in Nürnberg, arbeiten international und sind auf Beratung für Organisationen und Konzerne (Dr. C. Reindl) sowie Training und Schulung von Führungskräften (St. Krügl) spezialisiert.
In ihrem etwa 200-Seiten langen Buch offerieren die Verfasserinnen im Grunde zwei sich ergänzende Teile; der erste beschäftigt sich mit Begriffsklärungen, ethischen Überlegungen und allgemeinen Auffassungen zu People Analytics (PA). In der 2. Hälfte werden Praxisbeispiele, u.a. von Gastautoren, vorgestellt und kommentiert. Das letzte große Kapitel diskutiert Anwendungsgebiete von und für People Analytics, sicher zukunftsweisend und nicht ohne kritische Anmerkungen.
Mit einer einfachen Übersetzung von People Analytics in Verarbeitung von Personaldaten ist nicht im Ansatz die Bedeutung dieses Managementbereiches erfasst. Es gilt auch, PA nicht einfach mit HR-Management im herkömmlichen Sinne gleichzusetzen. Die Verfasserinnen betonen diesen Aspekt an mehreren Stellen im ersten Teil, da hierzulande zu schnell und zu oberflächlich von konservativer Datenverwaltung ausgegangen wird, eventuell Krankenstand, Fluktuation und Positionswechsel aufgenommen und analysiert werden. Zudem scheinen die mentalen Hürden für eine strategische Verarbeitung von privaten und beruflichen Daten äußerst vorurteilsbeladen. Der Umgang mit Daten in der Privatsphäre offenbart sich bei weitem nicht so kompliziert und Grenzen ziehend wie im beruflichen Sektor. Die Skandale zu Datenmissbrauch in Konzernen in den letzten Jahren sprechen hier eine eigene Sprache.
Reindl und Krügl gehen bewusst und die kritischen Punkte reflektierend einen anderen Weg. Sie zeigen überzeugend, wie mit People Analytics gearbeitet und gleichzeitig eine neue Organisationsstruktur eingeführt werden kann. Und um es vorweg zu nehmen: ohne dämonisierende Szenarien wie Orwells 1984 in Szene zu setzen. Im Gegenteil, mit People Analytics wird verständlich, wie Personaldaten mit Unternehmensdaten verknüpft werden können und gleichzeitig eine transparente und offene Unternehmenskultur gefördert werden kann. Es geht um effizienteres Wirtschaften, mit den Mitarbeitern, nicht gegen oder ohne sie, wie manch ein Misanthrop beschreien könnte.
Was sind die Kernaussagen? People Analytics gilt nicht nur im klassischen Sinne als Personalcontrolling, sondern will eine Verknüpfung von Personaldaten mit anderen Unternehmensdaten, Integration von Kennzahlen in Schlüsselbereichen, um so weitestgehend ungenutzte Zeit und verschwendete Ressourcen offenzulegen.
Ein komplettes Kapitel widmet sich den gesetzlichen und ethischen Rahmenbedingungen für Datenanalysen von Mitarbeiterdaten. Die Optionen werden aufgezeigt.
Letztlich unterstützt eine strategische Anwendung von PA eine Unternehmenskultur, in der das Management, die Führungskräfte und die Mitarbeiter ganzheitlich bessere, will sagen wirtschaftlichere und ethisch vertretbare Entscheidungen erarbeiten. Kennzeichnend hierfür sind: Transparenz über gemeinsam getroffene Entscheidungen, Wahrnehmung von Eigenverantwortung, Sinnhaftigkeit der Arbeit/Mitarbeitermotivation, ohne politische Machtstrukturen und Entscheidungspartizipation.
Um es anders auszudrücken: keine Angst vor missbräuchlicher Datennutzung, sondern bewusstes Einsetzen und Verknüpfen von Daten in und mit allen Bereichen, allerdings in einer anderen als der herkömmlichen Unternehmenskultur: in einer offenen Unternehmenskultur.
Im Praxisteil werden einzelne Modelle vorgestellt und praxisnah erläutert, die zu so einer offenen Unternehmenskultur führen können.
Hier sei vor allem das People-Analytics-Prozessmodell (PAP) genannt, in drei Phasen zum Erfolg: Qualitative Phase, Quantitative Phase und Umsetzungsphase.
Der kritische Aspekt betrifft den bewussten Umgang mit Daten und das In-Beziehung-Setzen von Daten. Es gilt, einen Unterschied zu erkennen und entsprechend strategisch einzusetzen zwischen Korrelation und Kausalität. Aus der Wharton University (USA) stammt ein plakatives Beispiel, das allerdings die Bandbreite des Problems anschaulich macht. Die Schuhgröße kann einen direkten Bezug zur Lesekunst des Menschen haben, indem zum Beispiel die Schuhgröße eines 6-jährigen Kindes mit seiner Lesefähigkeit in Zusammenhang gebracht wird: Korrelation. Kausalität, also ursächliche Zusammenhänge herauszufinden und entsprechende Maßnahmen zur Veränderung anzugehen, ist nicht einfach nur an Zahlen ablesbar.
Die Kompetenz, Daten lesen zu lernen, sie zu interpretieren und strategisch anzuwenden wird immer wichtiger werden.
Und genau dieser Aspekt ist der wichtigste Gedanke dieses Buches, beinhaltet einen nachhaltigen Lerneffekt: wir, die Anwender, brauchen Bewusstseinsprozesse über den Umgang mit Algorithmen und Datenverarbeitung, das Lesen-Lernen von Daten in ethisch vertretbaren Zusammenhängen und Einsetzen der Daten für eine effektivere Zeit- und Ressourcen-Nutzung in einer offenen Unternehmensstruktur.
Und damit ist auch schon fast beantwortet, wer dieses Buch lesen sollte: Jeder, dem Algorithmen Angst machen.
Dieses Sachbuch macht Mut! Es lohnt sich.